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Linie ins Glück

„Ich Dich auch“, sagte sie und gab ihm noch einen Schmatzer auf den Mund. Daniel stieg ins Auto, strahlte sie an und warf ihr noch mehrere Küsse durch die Scheibe zu. Sie lächelte zurück und winkte ihm. Als das Auto vom Hof gefahren war, schloss sie die Tür hinter sich.

 

Stille.

 

Anna schloss die Augen. Bilder und Geräusche aus den vergangenen Wochen drangen auf sie ein. Musik. Das Klirren von Flaschen. Lachen. Nägel, die in Bretter geschlagen wurden. Dieses Gefühl von „Wir“. Spät in der Nacht den kurzen Heimweg zu Fuß schlendern können. Laue Sommernächte genießen. Ein eingeschworener Haufen. Gemeinsam das tun, was man liebte. So viele neue Ideen im Kopf. Das war Inspiration!

 

Und jetzt: Stille.

 

Sie kochte sich einen Kaffee und stellte sich mit der Tasse ans Fenster. Der Gemüsegarten, in dem im letzten Jahr reiche Ernte angesagt war, lag in verschrumpelten Trümmern. Sie zog sich ihre Latzhose an und ging runter in ihren Werkraum. Sie staubte die Flächen ab und schärfte ihre Messer. Das grelle Kunstlicht brannte ihr in den Augen. Sie zog ihr Skizzenbuch aus der Latzhose. Den ganzen Sommer über hatte sie sich dort Notizen gemacht. In Windeseile Motive skizziert. Bevor der nächste Gedanke den alten vertrieben hatte. Sie musste den Gedanken festhalten. Welches Material wäre wohl das geeignetste? Aber da war jetzt noch eine viel wichtigere Frage: Wozu?

 

Sie saß im Wohnzimmer, der Fernseher lief. Da hörte sie das Auto auf den Hof fahren. Sie knipste das Gerät aus und schlug die Zeitung auf. „Hallo mein Schatz“, sagte Daniel, beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss. „Ha..“, sie musste sich räuspern, ihre Stimme war ganz belegt. „Hallo.“ Daniel bereitete das Abendessen zu. Der Tisch war schön gedeckt, mit einer Kerze und zwei Weingläsern. Sie stießen an. „Schön, dass Du wieder da bist.“ Anna lächelte.

 

„Hast Du vielleicht Lust, heute Abend auszugehen?“, sagte sie am nächsten Morgen beim Abschiedsritual. „Klar, warum nicht. Ich hol Dich ab.“

 

So saßen sie am Abend in einer Bar in der 30 km entfernten Stadt. Und schwiegen. Daniel war genervt, weil sie eine halbe Stunde lang einen Parkplatz gesucht hatten. Beinahe wäre er umgedreht. Sie bestellten ein Bier und eine Apfelschorle. „Und, auf Arbeit war heute alles fein?“ Daniel nickte und nahm einen Schluck von seiner Apfelschorle. „Bei dir auch?“ Anna nickte. Eine Stunde später. „Zahlen, bitte.“

 

Die darauffolgenden Abende verbrachten sie wieder zu Hause.

 

Anna recherchierte im Netz nach neuen Projekten. Ihr Handy klingelte. Judith. Wie es ihr gehe, ob sie sich schon wieder gut daheim eingelebt hätte. „Nichts ist gut, Judith. Ich bin Mitte 20 und sitze in einem verdammten Kaff. Hier ist nichts. Nichts. Einfach nichts! Hier sind keine Menschen, mit denen ich mich austauschen kann. Versteh mich nicht falsch: Ich lese gern, ich gucke gern mal fern. Ich genieße es, mit Daniel einfach mal da zu hocken und schön zu Abend zu essen, ganz in Ruhe. Aber jeden verdammten Abend? Und das nicht, weil ich das heute zufällig gern möchte. Sondern weil es gar keine andere Möglichkeit gibt! … Du triffst Dich aber nicht auf einen Kaffee oder abends in ner Bar, wenn Du dafür eine Stunde mit dem Auto unterwegs bist. Das machst Du mal, aber nicht ständig. … Ja, ich hatte schon nach einem Atelier geguckt. Aber ich kann halt hier umsonst arbeiten und bis in die Stadt, da habe ich folgende Möglichkeiten: Entweder kaufen wir uns ein zweites Auto. Oder ich nehme den Bus, der einmal die Stunde fährt und eine dreiviertel Stunde braucht und nach 20 Uhr gar nicht mehr fährt. Das ist doch alles scheiße! … Ich würde sofort umziehen, aber wir leben hier nun mal mietfrei in der Wohnung von Daniels Eltern, die er geerbt hat. Wenn Daniel die Wohnung verkaufen würde, was er auch erstmal emotional klären müsste, zu dem Preis kriegst Du in keiner Stadt Deutschlands ne Wohnung, das sag ich Dir. … Ja genau, oder wir führen ne Fernbeziehung. Bravo! … Mir gefällt’s hier total gut: Der Garten, die Wohnung, mein Werkraum. Das ist alles toll. Aber ich bin hier einfach total einsam und hab keinen geistigen Austausch mit Menschen, die nur ansatzweise das machen, was ich mache oder was mich interessiert.“ Judith wusste nicht mehr, was sie darauf sagen sollte.

 

Am Wochenende fuhren Anna und Daniel gemeinsam zum Supermarkt. Vor dem Eingang hatten sich drei Freiwillige um einen Infotisch mit Sonnenschirmchen postiert. „Wissen Sie schon, wen Sie morgen wählen?“, fragte eine ältere Dame, während sie freundlich lächelte und ihnen einen Flyer entgegen streckte. „Hä, was ist denn  morgen für ne Wahl?“ „Für den Kreistag.“ „Aha.“ Anna zuckte mit den Schultern und versuchte ein freundliches Lächeln. „Und was ist da so Ihr Programm?“ „Wir wollen hier in der Gegend die Betreuungsangebote ausweiten und die Verbindung in die Stadt mit einem Taktverstärker verbessern.“ „Ach was.“ Anna nahm nun den Flyer an, den ihr die Dame nach wie vor hin hielt. „Ja, wir wollen, dass der Bus alle halbe Stunde fährt und jede zweite Fahrt soll Express sein. Das heißt also, ohne Halt direkt in die Stadt, so dass sich die einfache Fahrt auf 25 Minuten verkürzt. Außerdem soll der Bus künftig bis Mitternacht fahren und mit W-LAN ausgestattet werden.“ Anna steckte den Flyer in ihre Tasche.

 

„Ich Dich auch“, sagte sie und gab ihm noch einen Schmatzer auf den Mund. Daniel hatte sie zur Bushaltestelle gebracht. Er stieg ins Auto, strahlte sie an und warf ihr noch mehrere Küsse durch die Scheibe zu. Sie strahlte zurück und winkte ihm. Er musste Gas geben, da der Bus anrollte. Anna stieg in den Bus ein, der überraschend gut gefüllt war. Sie setzte sich neben eine ältere Dame, die ihr freundlich zunickte. Sie erkannte sie. Es war die Frau vom Supermarkt. „Tolle Sache mit dem Bus, oder?“, sagte sie. Anna nickte. „Ich kann jetzt viel öfter zu meiner Tochter in die Stadt und auf meine Enkelin aufpassen.“

 

Anna sperrte das Atelier auf, das sich sich mit vier anderen teilte. Sie kochte Kaffee und setzte sich mit ihrem Skizzenbuch an ihren Platz. Sie genoss den Moment der Stille, bevor die anderen eintrudelten. Ihre Figur war fast fertig. Aber etwas fehlte noch. „Ich weiß, was Du meinst“, sagte Maja, die inzwischen da war und sich mit ihrem Kaffee zu ihr gestellt hatte. „Die Sorgenfalte da auf der Stirn. Die passt nicht. Das macht Deine Figur alt und nimmt ihr die Vitalität. Aber ich glaub, das kannst Du ganz easy abschmirgeln, dann müsste das eigentlich weggehen.“ Bis zum Abend war nicht nur die Sorgenfalte verschwunden, auch der Farbanstrich war nun fertig. „Yeah, sieht super aus. Jetzt steht die richtig im Saft!“ Anna strahlte mit ihrer Figur um die Wette. Gemeinsam verließen sie das Atelier und fielen in die Bar zwei Straßen weiter ein. „Fünf Radler, bitte!“


Politik kann ein trockenes Thema sein. Ich möchte es Euch so schmackhaft wie möglich machen! Daher findet Ihr auf meinem Blog nicht nur Fachartikel. Sondern auch ab und zu mal eine Kurzgeschichte, die ein bisschen ins Herz gehen darf. Politische Rahmenbedingungen bestimmen unseren Alltag. Das meiste ist nicht in Stein gemeißelt. Und Politik ist der Hebel zur Veränderung.

 

Ich bin gespannt, wie mein Experiment bei Dir ankommt. Lass es mich wissen und hinterlasse mir einen Kommentar! Über welches Thema würdest Du gerne mal eine solche Kurzgeschichte lesen?

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