· 

Spektrum

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten eine neue und eigenartige Stimmung in Deutschland. Etwas, das bislang als gesetzt galt, wird in Frage gestellt. Wir erleben einen Rechtsruck, der sich zunächst verbal äußerte. Chemnitz ist nun ein trauriger real gewordener Teil davon. Das hat auch viele in meinem Umfeld politisiert, die mit Politik eigentlich weniger am Hut haben. Bei Treffen im Freundeskreis auf Parties und Geburtstagen in den letzten Wochen, kamen erstaunlich viele explizit auf mich zu und wollten mit mir über das politische Geschehen sprechen. Zwei Dinge haben sich in diesen Gesprächen gehäuft.

 

Erstens die Frage „Was machst Du eigentlich genau bei den Grünen?“. Die Antwort, ich sei Vorstandsmitglied, hat in den Augen häufig ein kleines Zucken hinterlassen, das die nächste Frage verriet „Und was macht ein Vorstandsmitglied??“ - hierzu werde ich gesondert einen Text schreiben.

 

Und zweitens das Gefühl, dass von den Parteien zu wenig Lösungen angeboten würden. Dass zu viel schwarz-weiß-Denken vorhanden sei. Ich kann dieses Gefühl sehr gut nachvollziehen. Mir waren die innerparteilichen Vorgänge auch fremd, bevor ich Teil von ihnen wurde. Und das obwohl ich seit Kindertagen politisch interessiert war und das Ganze auch noch studiert habe. Es wird nicht im Schulunterricht vermittelt, wie unser politisches System funktioniert. Was Parteien eigentlich machen und welche Logik dahintersteckt.

 

Wie gesagt: Ich kann das Gefühl nachvollziehen. Es ist das, was einem politisch interessierten Menschen medial präsentiert wird. Dabei - und ich gehe davon aus, dass dies auch für alle demokratischen Parteien zutrifft - ist der parteipolitische Diskurs sehr viel differenzierter und facettenreicher, als er dann in einer knackigen Botschaft transportiert wird. Ich spüre in diesen Gesprächen, die mit mir geführt werden, eine Sehnsucht nach genau dieser Differenziertheit und ich glaube, es sollte uns Parteien dazu ermutigen, diesen innerparteilichen Diskurs noch viel mehr und selbstbewusst nach Außen darzustellen und den Menschen auch etwas zuzutrauen. Es gibt viele Themen, die sind nicht mit drei Schlagworten zu beantworten. Haben wir den Mut, unsere Gedanken nachvollziehbar zu machen und sie manchmal auch in ihrer Komplexität darzustellen. Ich empfinde dies als ein Gebot der Stunde, um den demokratischen Diskurs wieder auf ein stabiles Fundament zu stellen und dabei viele Menschen mitzunehmen.

 

Besonders schön und prägnant hat das Kevin Kühnert, der Juso-Vorsitzende, beim #z2x18-Festival am Wochenende formuliert: „Eine Partei ist immer Kompromiss. Man muss damit leben, dass es mehrere Positionen gibt. Aber man darf auch andere Positionen vertreten, das ist authentisch.“

 

Leider führt bisher Differenziertheit dazu, dass man im medialen Diskurs weniger vorkommt, so die Erfahrung einer Politikerin in diesem preisgekrönten Bericht. Es ist also auch eine Aufgabe der Medien.

 

Aus dem gleichen Bericht stammt übrigens diese Schilderung der hessischen Abgeordneten Angela Dorn:

 

"Deswegen ist es manchmal auch so bisschen Schauspiel, weil man ... weil man nur die Unterschiede zelebriert und die auch so überspitzt darstellt. Als ich die ersten Male im Parlament war, kam es mir so vor, als ob ich mich jetzt in mein Lager reinsetzte, man verschanzt sich und jetzt kämpft man gegeneinander, ganz absurd. (...) Und man hat mit dem einen gerade politisch heftigst debattiert am Rednerpult und dann geht man raus und kann Kaffee miteinander trinken. Am Anfang fand ich diese Kluft, hab ich als sehr extrem empfunden, konnt' ich gar nicht so richtig nachvollziehen, wie man so schnell springen kann. Und ich hab halt immer mehr verstanden, dass das diese Rolle ist, die man da spielt. Und es sind politische Unterschiede und das andere ist das Persönliche und man kann sogar mal dem anderen sagen: 'Also wie du jetzt grade mich angegriffen hast, da muss ich zugeben, chapeau, hast du gut gemacht'."

 

Dieses Radio-Feature erschien zu der Zeit, als ich selbst frisch Parteimitglied geworden bin. Einerseits war und bin ich schwer beeindruckt von dieser Offenheit, die man für meinen Geschmack viel zu selten erlebt. Andererseits hat mich die Schilderung dieser Realität auch abgeschreckt. Und in den Äußerungen meines Umfelds spüre ich ebenfalls diese Abschreckung.

 

Für mich geht dabei genau die Authentizität, von der Kevin Kühnert spricht, verloren. Ich empfinde das schnell als Klamauk. In der derzeitigen Situation, in der unser Land nach rechts abdriftet, sind die Debatten übrigens meinem Empfinden nach sehr viel authentischer, weil hier deutliche Unterschiede in der Haltung der verschiedenen Politiker*innen zum Ausdruck kommen. Der Anlass ist leider ein besorgniserregender. Vielleicht ist es Zeit für eine neue Debattenkultur.

 

Ergeht Euch das ähnlich und was würde Euch dabei helfen, mehr Einblick in (partei-)politische Diskurse zu erhalten?


Kommentar schreiben

Kommentare: 0