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Lobbyarbeit braucht das richtige Mindset

Als ich mich selbständig gemacht habe, war mir klar: Als "Lobbyistin" wirst Du durchaus auch mal skeptisch beäugt werden. Vielen Menschen ist unwohl bei dem Gedanken Lobbying zu betreiben und kämpfen mit gewissen Assoziationen im Kopf. Gleichzeitig wissen sie um die Bedeutung für ihr Business/ihre Organisation und um die Notwendigkeit, sich in das Geschehen einzumischen. Ich bin der Überzeugung, dass man mit einer angezogenen Handbremse nicht vom Fleck kommt: Wer das Thema Lobbyarbeit tatsächlich angehen und dabei eine Wirkung erzielen möchte, der muss sich dabei wohlfühlen. Ich teile hier ein paar Gedanken mit Dir, mit denen ich Dich einladen möchte, Lobbying aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Meta statt Mini

Es gibt keinen größeren und wirkmächtigeren Hebel als den der Politik. Dort werden allgemeingültige Regeln für unsere Gesellschaft festgelegt. Die Rahmenbedingungen, die unser ganzes Leben beeinflussen. Nirgendwo sonst erzeugen Entscheidungen mehr "Reichweite" und haben Einfluss auf so viele Menschen. Sind wir nicht alle dafür angetreten, dass wir etwas verändern wollen? Dass wir die Welt besser und gerechter machen wollen? Ich weiß das klingt abgedroschen und wir haben es schon so oft gelesen. Aber ich weiß auch, dass wir alle das bei allem Klischee auch wirklich in uns drin so fühlen und so meinen. Alle Ehre denjenigen, die sich um einzelne Individuen kümmern oder sich an sie wenden. Sei es in der Nachbarschaftshilfe, im Unverpackt-Laden oder bei einer Info-Aktion in der Fußgängerzone. Aber mit diesen Einzel-Aktionen erreichen wir nur sehr begrenzt Menschen. Wir kümmern uns um einzelne Individuen. Wir machen das Leben dieser Individuen besser oder inspirieren einige Wenige. Das grenzt an Sisyphos-Arbeit. Wir werden uns niemals um alle Bedürftigen kümmern können oder so viele Menschen erreichen können, die wir erreichen müssen. Wir gefährden uns vielleicht allerhöchstens noch selbst, weil wir in diesem Kampf gegen Windmühlen uns verausgaben und im Burnout landen. Wer echte Veränderung - und zwar im System, auf der Metaebene - bewirken will, der muss in der Politik mitmischen. Lobbyarbeit ist hierbei das Instrument, um die Interessen in das politische System einzuspeisen, damit diese Beachtung finden.

Politiker*in = Mensch

Für wirksame Lobbyarbeit ist es unumgänglich das direkte Gespräch mit Politiker*innen zu suchen. Immer wieder ernte ich dabei Reaktionen wie diese: "Ich kann mich mit der aus der Partei X einfach nicht an einen Tisch setzen, weil sich unsere Weltbilder diametral entgegenstehen." Im Falle der AfD kann ich das auch nur unterstützen. Bei allen anderen demokratischen Parteien möchte ich aber widersprechen. Politiker*innen sind nicht (nur) die, die besonders gut die Ellbogen ausfahren können und machtgeil sind. Ja, die gibt es auch. Aber das ist ein sehr kleiner Anteil. Ich erzähle Dir mal, welche Politiker*innen ich so kenne: Die allermeisten starten mit genau diesem Weltrettungs-Gefühl in ihr ehrenamtliches (!) Engagement, wie ich es weiter oben gerade beschrieben habe. Sie stehen an Infoständen. Sie kleben Plakate. Sie führen sehr viele sehr nervige Diskussionen mit Menschen, die ein bisschen rumpöbeln wollen an Infoständen. Sie sitzen stundenlang in ihrer Freizeit in Sitzungen. So startet jede*r und macht das in der Regel einige Jahre, bevor dann vielleicht mal der Wechsel in die Berufspolitik gelingt. Ach ja, ich vergas zu erwähnen, dass man auf einen Platz in der Berufspolitik jetzt auch nicht so knallhart drauf hinarbeiten kann. Du kannst der Partei nur ein Angebot machen. Dafür musst Du Dich einerseits hervortun, Kompetenz haben und eine eigene Meinung haben, andererseits muss Deine Nase noch genug Parteimitgliedern gefallen, damit sie Dich auch wählen. Durchaus immer wieder ein Spagat. Und dann ist dies immer ein Job auf Zeit. Abhängig von Deiner Performance (wie gefällt den Leuten Deine Nase in ein paar Jahren?!) und dem Wahlergebnis. Wirklich: Viele, viele Politiker*innen sind ehrlich engagierte Menschen, die uns bestimmt nichts Böses wollen. Bestimmt vertreten viele auch ein Weltbild, mit dem man nichts anfangen kann. Aber das ist - sofern es sich um ein demokratisches Weltbild handelt - ja auch legitim. Das müssen wir alle aushalten und genau das macht uns zu einer Demokratie, dass wir das aushalten können. Manche sind vielleicht im Lauf der Jahre auch etwas sehr in ihrer Rille eingefahren und haben es verlernt links und rechts zu gucken. Das macht es definitiv häufig mühsam und lässt uns zurecht manchmal die Augen rollen. Aber diese Sorte Mensch ist auch außerhalb der Politik anzutreffen und lässt mich die Augen rollen. Kurz gesagt: Du hast es in der Politik mit ganz normalen Menschen, mit all ihren Talenten und liebenswerten Macken zu tun.

Lobbyarbeit ist keine Einbahnstraße

Daran schließt sich an, Lobbyarbeit nicht als Einbahnstraße zu begreifen. Für den Erfolg unserer politischen Arbeit ist es elementar, dass wir uns eine Botschaft, eine eigene politische Positionierung erarbeiten. Im zweiten Schritt benötigen wir eine Strategie, wie wir diese Botschaft an die richtigen Akteure adressieren. Und das auch noch zum idealen Zeitpunkt. Wenn wir allerdings durch die Welt laufen und stets nur darauf aus sind unsere eigene Botschaft in die Welt hinaus zu posaunen, dann ist der Blick auf uns selbst verengt. Politische Belange betreffen in der Regel aber mehrere Gesellschaftsbereiche. Und nicht nur uns. Deshalb sollten wir stets dialogbereit sein. Ja, sogar neugierig auf die Ansichten und Konzepte der Anderen. Welche Argumente haben wir so noch nicht durchdacht? Was davon bereichert unsere Ansätze und lässt uns noch differenzierter auftreten? Lasst uns also immer ehrlich interessiert an unserem Gegenüber bleiben. Lasst uns neugierig bleiben. Hinterfragen wir auch immer wieder unseren eigenen Standpunkt. Wenn über uns die Verbohrtheit schwebt, erschweren wir uns selbst den Austausch mit den relevanten Akteuren.

Gemeinwohl oder Partikularinteresse

Der Begriff "Lobbyarbeit" löst auch deshalb häufig so viel Unwohlsein aus, weil damit verbunden wird, dass hier gegen das Gemeinwohl agiert wird. (Was genau ist eigentlich das Gemeinwohl?) In diesem Kontext gilt es auch, sich stets bewusst zu machen, dass Du als Verbandsmitglied oder Sprecherin einer Bürgerinitiative auch nur ein "Partikularinteresse" vertrittst. Dieses sollte nicht im Gegensatz zum Gemeinwohl stehen. Aber Du bist schlichtweg nicht dazu legitimiert für mehr als die Mitglieder zu sprechen, die Dich entsandt haben. Wie viele mögen das sein? 25? 100? 2.300? Im Vergleich zum Rest der Gesellschaft immer noch ein schwindend geringer Teil. Und wusstest Du, dass sich vor allem solche Menschen politisch engagieren (zu denen zählst auch Du als Interessenvertreter*in), die als privilegiert bezeichnet werden können? Sie verfügen u.a. über ein höheres Einkommen und über einen höheren Bildungsgrad. Statistisch gesehen müsstest Du also auch dazu gehören. Dies sorgt dafür, dass vor allem die Sicht dieser Menschen in unser politisches System mit einfließen. Ist das gerecht? Ist das gegen das Gemeinwohl? Wenn Du auf meiner Seite gelandet bist, gehe ich allerdings stark davon aus, dass Du zusätzlich zu Deinen (berechtigten) Partikularinteressen das Wohl der Allgemeinheit nicht aus dem Blick verloren hast. Politische Entscheidungen, die Du ja mit beeinflussen möchtest, müssen am Ende legitim sein und auf freiwillige Anerkennung stoßen. Das tun sie vor allem dann, wenn möglichst viele verschiedene Sichtweisen an der Entscheidungsfindung beteiligt waren. Insofern bereichern viele verschieden Partikularinteressen diesen Prozess. Und da darfst Du bestimmt nicht fehlen. Denn sonst gilt: "Wer nicht mit am Tisch sitzt, landet auf der Speisekarte."

Geduld und Langfristigkeit

Zu guter Letzt noch ein ganz anderer Gedanke. Es wird Dich vielleicht nicht überraschen: Aber Politik ist ein zähes Geschäft und da ist nicht mit dem schnellen Erfolg zu rechnen. Das wird vielleicht gerne mal in Filmen oder House of Cards so dargestellt, dass man sich mal mit jemandem trifft, der einem noch einen Gefallen schuldet und der deichselt das dann schon. So läuft das nicht. Es handelt sich bei allem um sehr langwierige Prozesse. Alle Akteure müssen sehr viel Kommunikation betreiben und sich mit vielen Leuten abstimmen. Es gibt so viele wichtige Themen, die alle irgendwie auf die Agenda gesetzt werden wollen. Es können nun mal nicht alle gleichzeitig Prio Eins sein. Lobbying kannst Du nur betreiben, wenn Du bereit bist, Dich durchzubeißen. Im Sinne von "Meta statt Mini" benötigst Du viel Geduld und einen langen Atem. Aber es lohnt sich. Denn es geht um nichts weniger als um die Weltrettung.

Wie sieht's jetzt aus mit der Skepsis?

Ich würde mich freuen, wenn ich Dich mit diesen Zeilen als Lobbyist*in für die gute Sache gewinnen konnte. Viel Erfolg bei der Vertretung Deiner - und unserer - Interessen!


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